2025-07-27 • Dr. Sven Köppel

Außerhalb des Fachpublikums, also im Alltag und vor allem Buisness-Jargon, werden die Bedeutungen technologische Trend-Begriffen häufig überdehnt oder…

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Title
Technologische Trends: Der semantische Wandel in der IT
Author
Dr. Sven Köppel
Pubdate
2025-07-27T00:00:00Z
Description

Außerhalb des Fachpublikums, also im Alltag und vor allem Buisness-Jargon, werden die Bedeutungen technologische Trend-Begriffen häufig überdehnt oder sogar gänzlich verschoben. In diesem Artikel soll ein kleiner Überblick über solche Begriffe gegeben werden.

Es fängt an bei Analog vs. Digital

Der Begriff „Digitalisierung“ wird in Poltik- und Wirtschaft mittlerweile durchgängig als ERsatz für den ehemals etablierten und nunmehr altmodisch wirkenden Begriff der elektronische Datenverarbeitung (EDV) verwendet. In der Tat gibt es die EDV nicht nur in digitalelektronischer Weise, sondern auch analogelektronisch, beispielsweise in eingebetteten Industriesensoren und -Aktuatoren. Allerdings hat das Adjektiv „analog“ einen Bedeutungswandel hingelegt: Bisherige Bedeutungen gemäß Wörterbuch sind:

  1. modellhaft/übertragbar/ähnlich/gleichartig, im Beispiel: "Die wirtschaftliche Entwicklung in Spanien verlief analog zur Situation in Portugal."
  2. stufenlos/kontinuierlich: "Ein analoges Thermometer zeigt die Temperatur als Zeigerposition auf einer Skala an."

In der Berliner Zeitung beschrieb Mathias Senoner in seinem Artikel Nicht alles, was nicht digital ist, ist zwangsläufig analog! nun einen Bedeutungswandel: Er zitiert Robert Habeck mit „den analogen Infrastrukturen, also Bahnen und Brücken“ oder die Musikzeitschrift Rolling Stone mit einem Konzert als „analoge[m] Event“. Insbesondere in den Politikkreisen, so schreibt Senoner, sei der Gegensatz „Analog vs. Digital“ gleichwertig zu „Alt vs. Neu“. Und so konstatiert er also eine neue, dritte Lesart des Wortes „analog“:

  1. physisch statt virtuell, im Beispiel: "Ich schreibe meine Termine noch ganz analog in einen Papierkalender."

Wissenschaftler:innen und Techniker:innen schlagen sich über solcher falschen Verwendung von Worten die Hände über dem Kopf zusammen. Aber es ist ein Beispiel dafür, dass Sprache lebt und dass sich Umgangssprache Fachbegriffe nimmt, ausleiht, deht und quetscht bis sie möglicherweise völlig entkoppelt von dem sind, was sie eigentlich einmal gemeint haben. Das hat eine gesellschaftliche Dimension, die sich nicht aufhalten lässt, egal wie sehr einem das misfallen mag. Der Autor dieses Textes etwa hat ein Startup gegründet im Bereich unkonventionelle Rechnertechnologien welches seit vielen Jahren gegen die Vorurteile ankämpfen muss, welche Menschen mit dem Wort „analog“ gerade in der Hochtechnologie verbinden. In diesem Rahmen schrieb ich über positives Framing für den Begriff "analog", übrigens auf englischer Sprache, denn diese Bedeutungsverschiebung ist ein internationales Phänomen welches keine Länder- und Sprachgrenzen kennt.

Webstuhl-Comic Illustrativer Comic: Begriffswandel im Laufe der Zeit - der Webstuhl. Comic von Simons Comicseite

Bedeutungswandel in der Quantenphysik

Im gleichen Atemzug umgibt die „Quantenphysik“ im Alltag die Aura des mystischen, viele Menschen glauben (möglicherweise wegen schlechter Erfahrungen im Schulunterricht), dass sie diese Technologie auch mit großem Bemühen nicht verstehen können. Unter dem Schlagwort Quantencomputing werden zuweilen sämtliche technologische Neuentwicklungen die aus der Grundlagenforschung kommen einsortiert, etwa ein neuartiger Halbleiter, der aber keineswegs quantenmechanische Informationen verarbeitet oder speichert, oder klassische Algorithmen, die inspiriert von quantenmechanischen Wellennetzwerken Probleme lösen. Das Marketing der Quantencomputing-Branche nutzt das physikalische Unverständnis geschickt aus, um das Wort mit Allmächtigkeit und Heilsbringung zu assoziieren und so über jeden Zweifel erhaben zu sein. Die Augenwischerei wird damit zur Strategie: Der Autor dieses Textes hat es nur zu oft auf Eventes der Quantenbranche erlebt, dass Moderator:innen auf der Bühne mit ihrem Unwissen kokettierten, vielleicht um Sympatiepunkte mit dem vermeintlich unwissenden Publikum zu sammeln: „Wir wissen alle nicht, worum es hier geht“. Für die Branche ist das ein Armutszeugnis, statt Aufklärung zu schaffen folgt das Geld der Nebelkerze.

Zuweilen wird auch konventionelles Supercomputing fälschlicherweise als Quantencomputing verstanden, dabei handelt es sich bei einem Supercomputer nach Lexikon-Definition um "für ihre Zeit besonders schnelle Computer". Das ist völlig unabhängig von der Bauform und hat mit Quantenphysik erst einmal gar nichts zu tun.

Die vielen Hüte der künstlichen Intelligenz

Da Künstliche Intelligenz (KI) außerhalb der Fachwelt bislang noch deutlich präsenter ist als Quantencomputing, wird die Beschleunigung von KI-Berechnungen gerne als Anwendungszweck für Quantenocmputing genannt, wenngleich künstliche Intelligenz lediglich ein kleines Anwendungsfeld in der Computerei ist. Auch KI ist vor der Bedeutungsverschiebung nicht gefeit: Außerhalb der Fachwelt wird KI zuweilen mit der gewöhnlichen, automatisierten Verarbeitung mithilfe eines Computerprogrammes verwechselt, die reine Anwesenheit eines Prozessors in einem System reicht vermeintlich für das Etikett „KI“. Häufig wird KI auch zur Projektionsfläche für politische Programme, zB ein schlanker Staat mit wenig Beamten. Der programmierte Staat bleibt aber vermutlich ohne „General AI“ (GAI) eine Utopie. Sobald diese erreicht ist, sprechen AI-Forscher:innen von der Singularität, über die hinaus sich keine vernünftigen Prognosen machen lassen, sodass einigen Heilsversprechen der „Technolgie-Evangelisten“ mit Skepsis begegnet werden sollte.

Der „Etikettenschwindel KI“ ist mittlerweile derart verbreitet, dass selbst Laien lachend im Laden stehen, wenn Billigware aus China angeblich „KI-verbessert“ sein soll. Rein rhetorisch steht das Wort damit wohl auf dem Gipfel der überzogenen Erwartungen des Hype-Zyklus:

Gartner Hype-Zyklus

Abbildung: Der Hype-Zyklus nach Gartner; Lizensiert nach CC, Quelle

Die Blockchain wird es richten

Im Sommer 2025 hingegen hat die „Blockchain“ möglicherweise schon das Tal der Enttäschungen erreicht. Vor ein paar Jahren war der Begriff noch in aller Munde und wurde mit der Notwendigkeit einer (potentiell redundanten, dezentralen oder besonders abgesicherten) Datenbank identifiziert. Während die Dezentralität gerade Abhängigkeiten von einer zentralen Macht verhindern sollte, haben sich ironischerweise gerade Staatsbanken in die Irre führen lassen bei der Einführung von blockchain-basierter Technologie. An der Stelle seien die Talks von Felix von Leitner zum Thema Hypetech und Blockchain erwähnt. Die verlinkten Slides lassen sich mit den Pfeiltasten durchklicken.

Zusammenfassung: Begriffswandel erzeugt Ineffizienz

Die semantische Verschiebung hat eine Verschleierung der Möglichkeiten und Risiken von Technologien zur Folge. Es leidet u.a. die effiziente Nutzung von Steuergeldern. Es muss das Ziel von Wissenschaftskommunikation und einer informierten/interessierten Öffentlichkeit sein, die Interessen privater Akteuren einzufangen. Gesellschaftliche Ziele wie Digitalisierung und Entbürokratisierung benötigen im Kern weder KI, noch Blockchain oder Quantencomputing. Viele Probleme in der Gesellschaft sind soziale und zwischenmenschliche Probleme, die sich nicht durch atmosphärisch-unscharfe Zukunftsvisionen von allmächtigen Computern ersetzen lassen, vor allem lässt sich das „lästige“ Lernen beim Umgang mit Computern nicht vollständig vom Menschen auf den Computer abwälzen.

Demokratien profitieren von wissenschaftlicher Inklusion, Open Knowledge, Open Data, Open Hardware -– ganz unabhängig von der konkreten Technologie. Ein Erfolgsbeispiel dafür ist die offene RISC-V-Prozessorarchitektur für deren Weiterentwicklung es auch in der öffentlichen Forschungslandschaft in Europa Gelder gibt. Von einer klaren Bezeichnung solcher Zusammenhänge profitieren am Ende alle, präzise Sprache ist und bleibt der Schlüssel zu echtem Verständnis.