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- Guid
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- Title
- Qualitätssiegel Familienfreundlichkeit: Nur solange es bequem ist!
- Author
- Dr. Sven Köppel
- Pubdate
- 2025-10-22T00:00:00Z
- Description
-
Es ist 2025 und jeder lebt in seiner Blase. Meine ist: Zwei kleine Kinder zu haben und dabei berufstätig zu sein. In meiner postmodernen innenstädtischen Lastenfahrrad-Filterblase vernehme ich den politischen Willen, Kinderbetreuung mit dem Arbeitsleben vereinbar zu machen. In dieser Blase haben sich jahrelang „moderne“ Unternehmen damit gerühmt, wie sie „Work-Life-Balance“ vereinbaren können, sich zum Teil auch mit Arbeitgebersiegeln (siehe auch Der Spiegel, März 2025: Der Bluff mit den Arbeitgebersiegeln) dekoriert, die ihnen eine Familienfreundlichkeit garantieren sollten.
Blasen erkennt man daran, wenn sie platzen. Das merkt man derzeit auf großen politischen Skalen in dem oft beschworenen „Rechtsruck“. Oder am Realitätscheck, in dem plötzlich doch viele Menschen mit jungen Kindern ein 50er-Jahre-Familienmodell leben, in dem selbstverständlich die Frau ihre Karriere „nur für ein paar Jahre“ aufgibt (Spoiler Alert: Es wird nicht nur bei ein paar Jahren bleiben). Man erkennt die Blase aber auch daran, dass die Siegel das Papier nicht wert sind. 2022 musst ich im Rahmen eines wichtigen Auftrags bei einem öffentlichen Träger zwischen Münster und Ulm pendeln. Eine Mehrtagsbetreuung in Münster war nicht zu bekommen und der Kunde in Ulm bestand auf meiner persönlichen Anwesenheit, also pendelte ich mit Kind. Für gewöhnlich hatte ich in Ulm eine zuverlässige Tagesbetreuung, aber bei einigen der Einsätze war einfach keine zu bekommen. Notgedrungen nahm ich meine Tochter bei diesen Gelegenheiten mit ins Gebäude und ließ sie in einem ungenutzten Büroraum spielen. Das ging so lange gut, bis die Geschäftsführung des Kunden das erstmals mitbekam. Zügig wurde sodann die Hausordnung um den Zusatz geändert, dass Kindern das Betreten des Firmengeländes grundsätzlich untersagt sei. Als ich bar anderer Möglichkeiten meine Tochter dennoch wieder dabei hatte, wurde das Kleinkind tatsächlich unter Betonung der polizeilichen Durchsetzbarkeit des Geländes verwiesen.
Familienfreundlichkeit klappt so lange, wie es nichts kostet und solange es nicht mehr ist als das gesetzlich vorgeschriebene. So wie es etwa Bauvorschriften über geschlechtergetrennte Wcs gibt, gibt es auch bauliche Mindeststandards für Wickelräume in größeren Unternehmen. Dass man sich mit der Einhaltung dieser Rechtsnormen rühmt, ist bestenfalls Etikettenschwindel.
Ich hab in all den fünf Jahren viele Dutzend Veranstaltungen besucht und kenne gute wie die Bits&Pretzels in München, die eine kostenlose Kinderbetreuung anbieten, dann solche, die es zumindest dulden dass man seine Kinder auf eigene Verantwortung (notgedrungen!) mitbringt, zB. im UnternehmerTUM ebenfalls in München. Und dann gibt es solche, die eine Anwesenheit von Kindern grundsätzlich ablehnen. Einmal keine grundsätzliche Aversion unterstellend kann ich mir das nur mit mangelnder Vorstellungskraft erklären. Statt Lösungen zu denken, gehen sofort die Alarmglocken an: Kinder sind für sie eine unkontrollierbare Gefahr: nicht nur ein Haftungsrisiko, sondern eine mögliche Quelle von Lärm und Ablenkung die man sich möglichst weit vom Leib hält. Um das zu erreichen, (er)finden sie Gründe und zementieren diese zum Beispiel Hausordnungen. Diese Hausordnungen sind das papiergewordene Gegenteil eines Arbeitgebersiegels, sie sind die dunkle Kehrseite der familienfreundlichen Arbeitswelt.
Solche Ereignisse sind nicht hypothetisch, sondern sie passieren täglich. Erst heute hab ich eine völlig unerwartete Absage bekommen für die Teilnahme an einem mehrtägigen Event bei einem großen Player im deutschen Startup-Ökosystem, bei dem ich mangels Kinderbetreuung vor hatte, meine Kinder mitzunehmen. Bei den Verantwortlichen gibt es ein Schulterzucken, die Kinder sind schließlich nicht ihr Problem. Und dabei haben sie recht, aber es offenbart doch, wie weit es mit dem Kuschelkurs der zukunftsgewandten Unternehmerschaft steht: Familienfreundlichkeit ist oft ein Lippenbekenntnis, sobald auch nur minimale Aufwände entstehen.
Familie und Karriere klappt in manchen Teilen von Deutschland nur, wenn man das doppelte Sicherheitsnetz von williger und fähiger Verwandtschaft im Umkreis hat oder das Geld für private Kinderbetreuung aufbringen kann oder will. Erst kürzlich bin ich von Münster/Westfalen nach Frankfurt am Main gezogen und bin geschockt, wie katastrophal die Personalsituation in Kindergärten und Horten im Einzugsgebiet ist. Die Konsequenzen dieser Unterfinanzierung tragen zunächst all die jungen Familien, in denen die Karrieren nicht stattfinden und später die Gesellschaft, weil die elterliche Arbeitskraft nicht erbracht wurde und die Kinder schlecht ausgebildet sind.
Als Konsequenz der Mangelwirtschaft erlebe ich die Rückbesinnung in das Private, Muster und Lösungen des letzten Jahrhunderts, eine Indivudalisierung des Betreuungsproblems: Einzelkämpfertum allenortens. Zynisch ist, wie sich gerade Menschen das Leben gegenseitig schwermachen, die entweder junge Eltern sind oder sein könnten. Empathie gibt es eben nur solange sie nicht zur Last wird. Statt Zusammenrücken bedeutet Krise für viele, Abstand zu gewinnen von den Mitmenschen. Das ist für das Invidium bequem aber für die Gesellschaft ein alamierendes Zeichen.