Ein Plädoyer für Demokratie und gegen Populismus und die AfD. Ein Appell an Bürger:innen und Wissenschaftler:innen für mehr Diskussion und Partizipation, zur Bewusstwerdung unserer Privilegien und unserem Einfluss auf den Staat, in dem wir leben.

Ich habe vor drei Jahren einen Eid auf das Grundgesetz geleistet, als ich das öffentliche Ehrenamt eines Finanzrichters am Finanzgericht Münster angetreten habe. Unsere Demokratie lebt von Partizipation, es gibt außer ihren Bürger:innen niemand, der für sie einstehen könnte. In einer Zeit, in der die demokratiefeindlichen Kräfte stärker werden und sich immer größere Bevölkerungsgruppen von den einfachen Lösungen der Populisten und Extremisten einlullen lassen, kann ich nicht wegschauen. Das Grundgesetz wurde geschaffen, um nie wieder einen fachistischen menschenfeindlichen Staat auf deutschem Boden entstehen zu lassen. Allenorten werden Kräfte, die genau dies beabsichtigen, wieder stärker. Nie wieder ist jetzt, und daher stehe ich auf.

Politik und Wirklichkeit

Viele regen sich über die Politik auf, und sie tun gut daran. Kaum eine Kritik, der ich nicht beipflichten kann. Deutschlands Verwaltung („die Bürokratie“) läuft vielerorten schlecht, die Digitalisierung überall schleppend, klimagerechte Reformen lassen auf sich warten, manch einer spricht von Systemversagen. Statt wichtigen Zukunftsinvestitionen gibt es Steuergeschenke. Es sind Zeiten des Niedergangs von Volksparteien und der Zunahme von Politikverdrossenheit.

Natürlicherweise gibt es auf diese Probleme verschiedene Antworten, im einfachsten Modell die des „linken“ und „rechten“ politischen Spektrums. Nicht legitim sind aber diejenigen Antworten, die die Probleme verneinen: Wer etwa die wissenschaftlich zweifelsfrei nachgewiesene Existenz des menschgemachten Klimawandels leugnet, befindet sich in der esoterischen Szene der „alternativen Fakten“. Die Wirklichkeit zu verhandeln ist der Versuch, durch eine Platzhalterdiskussion die demokratische Meinungsfindung zu verhindern.

Es ist eine gemeinsame Eigenschaft aller Populisten, sich durch geschickte Rhetorik als Opfer zu stilisieren und die „Mehrheit“ als Täter. Das Grundgesetz definiert eine streitbare, wehrhafte Demokratie die auch die „demokratische Mehrheit“ gegen eine „demokratiefeindliche Minderheit“ schützt. Deswegen ist es richtig, die menschenverachtende AfD-Partei zu verbieten.

Privilegien

Ganz selbstverständlich gehe ich unter in der Masse: Weiß, männlich, weitgehend gesund, verheiratet, mit Kindern. Dazu noch mit Universitätsabschluss, mit gutem Einkommen. Es ist zu konstantieren: Ich bin priviligiert. Man muss es sich leisten können, zu Partizipieren aber auch zu Demonstrieren. Es ist aber auch wichtig, festzustellen: Ich muss nicht nörgeln. Natürlich gibt es Ärgernisse allerorten, aber wenn ich dagegen schimpfe, dann aus Prinzip und nicht, weil meine Existenz aktuell unmittelbar davon abhängt.

Aus ökonomischen und Bildungs-Privilegien, aus Alter und Leistungsfähigkeit entsteht eine Verantwortung: Und zwar über die Erklärung und Mitgestaltung des Gesellschaftssystems, über die Bewahrung von Geschichte aber auch die Wohlfahrt der Gemeinschaft. Diese Grundsätze sind nicht, wie von Rechtsextremen behauptet, politisch besonders „links“, sondern als Sozialpflichtigkeit im Grundgesetz verankert. Sie basieren auf einem religiös oder humanistisch motivierten Menschenbild, welches keiner politischen Agenda entstammt. Missbraucht werden solche Privilegien, wenn sie dem Egoismus dienen oder der Verfestigung der zugrundeliegenden Ungleichheit.

Populisten versuchen den medialen Diskurs zu manipulieren und die Art und Weise, wie dominierende Medien im Internet funktionieren, spielt ihnen dabei in die Hände. Meine „Filterbubble“ besteht unter anderem aus klassischen Nachrichtenkanälen wie Spiegel, ZEIT oder DLF. Dort lese und höre ich im Wochentakt neue Analysen, Essays, Reportagen und Interviews über die Machenschaften von populistischen Parteien wie der AfD. Es gehört zum Populisten-Einmaleins, kritischen, als „Mainstream“ diffamierten Medien das Existenzrecht abzusprechen. Evidenzbasierung spielt für Populisten keine Rolle, der Diskurs ist bei ihnen stets pseudowissenschaftlich und er wird versucht durch Rhetorik statt wissenschaftliche Referenzen zu dominieren.

Wenn ich auf einen Wissenschaftler treffe, der Populist ist, dann kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass entweder keinerlei Sendungsbewusstsein vorhanden ist oder mein Gegenüber eine autokratische Weltanschauung vertritt. Solche sind mir genau so unangenehm wie die Schönwetter-Populisten, die sich bei leichtem Widerspruch schon zurückziehen in ihren braunen Sumpf und hoffen, dass endlich ein starker Mann kommt, der ihre Weltanschauung selbstbewusst umsetzt. Fatal sind die Zyniker, die die Welt brennen sehen wollen. Sie wähnen sich sicher, dass ihre Privilegien auch im Totalitarismus bestand haben. Es ist die reinste Form des Egoismus, der die Gesellschaft opfert zugunsten noch mehr Privilegien.

Die Lösung ist nicht die Diktatur

»Demokratie ist die Schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.« Dieses Zitat wird Winston Churchill nachgesagt. Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten, in den USA wählt sich dieses Jahr das Volk womöglich erneut einen erklärten Demokratiefeind als Präsident.

Früher war mir die Bundesrepublik relativ egal. Ich habe es als Zufall gesehen, hier geboren zu sein und mir erlaubt, eine „jugendliche“ Ignoranz gegenüber politischen Meinungen an den Tag zu legen. Mittlerweile habe ich ein Alter erreicht, in dem mich die demokratiefeindlichen Einschläge unmittelbar berühren. Hinter einer „schützenden“ Elterngeneration kann ich mich nicht mehr verstecken. Und ich kann mir diese Ignoranz nicht mehr gestatten.

Auch ich schimpfe gegen die Staatsfinanzierung und bin trotzdem ehrenamtlich in der Finanzgerichtsbarkeit tätig. Erwachsene können Gegensätze aushalten. Es ist definierendes Element von Demokrat:innen, ständig und dauerhaft Kompromisse auszuhandeln zwischen scheinbar unüberwindbaren Gegensätzen. Es wird häufig als Systemfehler verstanden, dass so viel diskutiert wird, doch es ist tatsächlich ein großartiges Feature. Ich möchte auch in Zukunft meine Meinung frei äußern können.

Nie wieder Totalitarismus, Fachismus und Autokratie auf deutschem Boden, das war Leitgedanke bei der Gründung der Bundesrepublik. Nie wieder ist jetzt, und es liegt an uns das durchzusetzen.